Junge Sänger in antikem Ambiente
Verzaubert schlendert man durch die verträumten Gassen von Vicenza, eine kleine Pforte öffnet sich, und durch einen gewölbten Gang betritt man das weltweit älteste noch bespielte Theater. Es eröffnet sich ein bezaubernder Blick auf dieses architektonische Juwel aus der Renaissance. Der großartige Architekt Andrea Palladio schuf ein klassisches halbrundes Amphitheater. Säulen und Figuren schmücken den Bühnenbau. Durch drei Bögen wird perspektivisch der Blick frei in eine Gasse, die geradewegs in den kitschig blauen Himmel führt. Einmal im Jahr findet das Musikfestival mit Kammerkonzerten und einer Opernaufführung im Frühjahr statt und erweckt dieses Kulturerbe mit seiner ausgezeichneten Akustik zum Leben. Mit der diesjährigen Neuinszenierung von Così fan tutte findet der Da-Ponte-Zyklus des Festivals seinen Abschluss.
Ohne großen szenischen Aufwand entsteht mit ausgefeilter Personenregie und etwas Mobiliar – zwei Sofas, ein Tisch und Stühle – die Kulisse für den Abend. Der Regisseur Lorenzo Regazzo tritt auch als Don Alfonso auf der Bühne in Erscheinung und bleibt in dieser Rolle als der Hausherr, getragen von seinem sonoren Bass, dominant. Auch er ist vor den Lüsten und Gelüsten nicht gefeit. So verehrt in seiner Erzählweise jeder jede, auch die rundliche Despina von Giovanna Donadini lebensecht italienisch gemimt und kokett gesungen, macht ihrem Hausherrn Avancen. Die beiden begleiten das allseits bekannte Verwirrspiel der jungen Liebespaare, aber es entwickelt sich hier ein ernster Wettbewerb der beiden Männer, um deren Eroberungskunst und Erfolg. So erliegt Fiordiligi bewusst Gugliemo, nachdem sich dieser seiner Verkleidung entledigt hat. Intrigant zeigt Don Alfonso noch sein Handy-Video des Fehltritts dem Gegner Ferrando, der anschließend stürmisch den Wettkampf durch die Eroberung von Dorabella ausgleicht. Am Ende liegt es nicht an den Frauen, reumütig um Verzeihung zu bitten; es sind die Männer, die ihr Fehlverhalten und ihre Eitelkeit um den Preis der Freundschaft und ehrlichen Liebe erkennen.
Die Brücke zum Original-Libretto stellt Don Alfonso wieder her, indem er aus weiteren Werken Da Pontes zitiert, der sich als geschulter Kenner der weiblichen Psyche und menschlichen Liebe erweist. Don Alfonso selbst findet am Ende auch seine Liebe in einer mystischen Schönheit, die ohne in die Handlung einbezogen zu sein, das Geschehen auf der Bühne begleitet. Als Regisseur bemerkt Regazzo spitz, es gebe immer die Person, die auf einen wartet und einem jeden bestimmt ist, wenn eine Liebe zu Ende ist – Così fan tutte nicht nur in Vicenza.
Die Besetzung mit jungen Nachwuchssängern ist gelungen und stimmlich gelungen. Die junge Arianna Venditelli passt mit ihrer Haarpracht und dem frischen, hellklingenden Sopran in die Rolle der ungestümen Fiordiligi. Daniele Zanfardino präsentiert überzeugend, dass sein lyrischer Tenor mozartfest ist. Raffaella Lupinaccis Mezzosopran ist zart und eng in der Modulation. Marco Bussi bleibt ihr ein draufgängerischer Guglielmo, dessen Stimme für Belcanto mehr Färbung und Timbre gebrauchen könnte.
Der künstlerische Leiter des Festivals, Giovanni Battista Rigon, ist auch der Dirigent dieser Opernproduktion am Pult des Orchestra di Padova e del Veneto. Sein Mozart schmiegt sich sanft und kammermusikalisch in den Rahmen ein. Er verzichtet auf gefühlvolle Crescendi oder Ritardandi und bleibt klar und simpel im Dirigat. Das Premierenpublikum identifiziert sich mit der Handlung und applaudiert begeistert dem Regieteam und den Sängern. Unvermittelt erinnert man sich als Besucher in diesem Raum an die Geburt der Theaterkunst im antiken Griechenland und verlässt ehrfurchtsvoll dankend die Kunststätte.
Helmut Pitsch