Entrevista a Mortier. Viena

Gérard Mortier ist wieder ein Coup gelungen. An dem von ihm geleiteten Opernhaus in Madrid, dem Teatro Real, bringt Michael Haneke am Samstag seine zweite Opern-Inszenierung heraus: Mozarts „Così fan tutte“.

Das Interesse daran ist gewaltig, ist Haneke doch zur Zeit Europas gefragtester Regisseur und mit seinem Film „Amour“ am Sonntag Top-Favorit auf den Auslands-Oscars (und möglicherweise auf weitere Statuetten).

Seine erste Opernregie hatte Haneke ebenfalls bei Mortier gezeigt: 2006 am Palais Garnier in Paris, das Mortier nach seiner Intendanz in Salzburg geleitet hatte. Der KURIER traf den mittlerweile fließend spanisch sprechenden Mortier zum Interview in Madrid.

KURIER: Wie erklären Sie sich, dass Haneke nur bei Ihnen inszeniert, während man in Wien noch nie eine Opernregie von ihm sehen konnte?
Gérard Mortier: Unsere Freundschaft ist in Salzburg entstanden. Er ist jemand, der großes Vertrauen zu seinen künstlerischen Partnern braucht. Ich habe versucht, ihm die optimalen Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Man hat ihm ja nach dem „Don Giovanni“ in Paris so vieles angeboten, unter anderem einen „Ring“ in Bayreuth. Aber ich glaube: Falls er je wieder eine Oper inszeniert, würde er das wieder bei mir machen.

Spanien war kulturell zuletzt vor allem durch Sparmaßnahmen in den Schlagzeilen. Wie geht es Ihnen diesbezüglich am Teatro Real?
Es ist jetzt meine dritte Saison in Madrid. Ich habe mit einem Budget von 58 Millionen Euro begonnen, davon waren 28 Millionen Subvention für 120 Vorstellungen in unserem Stagione-System. 18 Millionen davon gingen in die Produktionen, der Rest waren Fixkosten. Im Jahr 2012 kam der erste Einschnitt: Die Subvention wurde auf 17 Millionen gekürzt. 2013 sind es nur noch zwölf Millionen. Das heißt, mehr als 50 Prozent sind weg.

Wie geht sich das aus?
Wir haben bei den Fixkosten massiv gespart und mussten 30 Techniker kündigen. Das Sponsoring haben wir verstärkt. Und die Eintrittspreise sind sehr hoch: 360 Euro für Premieren, danach bis zu 200 Euro. Wir haben zur Zeit ein Budget von 42 Millionen. Davon sind 14 für die Produktionen da. Mehr kürzen geht nicht. Ich habe jetzt in meinem Vertrag, der bis 2016 läuft, dass es bei dieser Subvention bleiben muss.
Sie waren in Salzburg immer ein Kämpfer für günstigere Tickets. 360 Euro als Toppreis sind wirklich enorm viel …
Ja, ich weiß. Aber wir haben ein Jugendabo kreiert mit 20 Euro pro Vorstellung. Und unsere Last-minute-Tickets kann man um zehn Prozent des Vollpreises kaufen. Mir ist das junge Publikum besonders wichtig.

Wie sieht Ihre Programmierung aus?
Ich habe im ersten Jahr mit „Mahagonny“ begonnen. Das hätte eine Koproduktion mit der Wiener Staatsoper sein sollen, La Fura dels Baus haben inszeniert. Aber Dominique Meyer hat das nicht sehr gefallen, dabei war es ein Riesenerfolg. Dann habe ich den Salzburger „Rosenkavalier“ von Wernicke nach Madrid gebracht, der ist ja mittlerweile Kult. Und ich arbeite mit den Dirigenten zusammen, die ich besonders schätze: Metzmacher, Haenchen, Cambreling, Currentzis

Einen Chefdirigenten gibt es nicht?
Jesus Lopez-Cobos war Chefdirigent, bevor ich in Madrid war. Aber er hat mit dem Orchester kaum gearbeitet. Wir mussten ihn rauswerfen. (Anm: Lopez-Cobos fiel zuletzt in Wien u. a. bei der „Cene­rentola“-Premiere durch.)

Im kommenden Jahr inszeniert Peter Sellars bei Ihnen „Tristan“. Warum nicht im Wagner-Jahr 2013?
Wir hatten zuletzt einen konzertanten „Parsifal“ mit Hengelbrock. Sonst spielen wir heuer keinen Wagner und keinen Verdi. Man verwandelt Opernhäuser in Friedhöfe, wo man jedes Jahr einen Blumentopf auf ein anderes Grab stellt – davon halte ich gar nichts.
Sie waren im Gespräch für die Leitung der Mailänder Scala. Ist das für Sie ein Thema?
Garantiert nicht. Ich würde dort nie hingehen, das interessiert mich nicht. Ich würde nur noch Festspiele oder ein Stagione-Theater leiten. Und das Unterrichten macht mir immer mehr Freude.

Was halten Sie vom Kurs der Salzburger Festspiele unter Intendant Alexander Pereira?
Ich verfolge das zu wenig. Aber ich finde das alles sehr populär. Pereira ist ein guter Manager. Ich habe halt eine andere Idee davon, was Festspiele sein sollen.

Sie haben nach Karajan eine Erneuerung in Salzburg betrieben. Wird das Rad jetzt zurückgedreht zum Starprinzip?
Nur dass es keinen Karajan mehr gibt. Ich hatte ja eine Riesenbewunderung für ihn. Mir sind immer die Dirigenten am wichtigsten gewesen. Ich hatte zu Beginn in Salzburg Abbado, Muti, Solti, Harnoncourt, Haitink, Dohnanyi und viele andere. Solche Leute vermisse ich.

Sie haben auch Puccini für Salzburg abgelehnt. Jetzt wird er wieder gespielt.
Wenn schon Puccini, dann muss es toll dirigiert sein, wie das früher bei Karajan oder Carlos Kleiber der Fall war. Aber Dirigenten wie zum Beispiel Gatti interessieren mich nicht. Von ihm muss ich auch keine „Meistersinger“ in Salzburg hören. Wenn schon Wagner in Salzburg, dann braucht man jemanden wie Thielemann.

Ihr Kommentar zu den Bayreuther Festspielen?
Ich habe einmal dafür kandidiert, mit Nike Wagner. Wir wollten die Struktur ändern, aber es war beschlossen, dass das Eva und Katharina Wagner bekommen. Ich finde immer noch, dass Bayreuth völlig umgebaut werden muss. Ich baue immer gerne um. Aber jetzt müssten das Jüngere machen.
Ihre Erwartung an den Bayreuther „Ring“ mit Dirigent Kirill Petrenko und Regisseur Frank Castorf?
Ich schätze Castorf hoch. Und Petrenko ist ein wunderbarer Mann. Wenn Wien so jemanden hätte … Es ist ein genialer Schachzug von Klaus Bachler, dass Petrenko als Musikdirektor nach München kommt.

Heißt das, Wien ist nicht adäquat besetzt?
Wenn ich die Staatsoper besuchte, dann wäre es wegen Welser-Möst. Er ist sehr tüchtig und wichtig für das Haus. Das Neujahrskonzert war jedoch unglaublich langweilig, unter seinem Niveau. Aber was gibt es außer Welser-Möst? Mich interessiert der Rest nicht. Die Wiener Staatsoper ist zur Zeit in der internationalen Musikwelt nicht existent. In München, Stuttgart oder Frankfurt ist viel mehr los.

Zur Person:
Gérard Mortier wurde in Gent/Belgien geboren und wird im November 70. Der promovierte Jurist leitete ab 1981 die Brüsseler Oper und übernahm 1991 die Intendanz der Salzburger Festspiele. 2002 gründete er die Ruhrtriennale, auf die er besonders stolz ist. Ab 2004 war er Opernchef in Paris, seit 2010 leitet er das Teatro Real. An diesem Opernhaus hat am Samstag „Così“ Premiere. Danach kommen Donizettis „Roberto Devereux“ und Bizets „Perlenfischer“. Im April folgt eine „Don Giovanni“-Premiere (Regie: Dmitri Tcherniakov), im Juni „Wozzeck“ (Regie: Marthaler).